Tour 08: Kaffeefahrt in die Kurstadt
Herausforderung für den Fahrrad-Oldie
Von Hagen Eichler
Eine Kaffeefahrt wird das, sagt der Mann, der den Weg kennt, eine leichte Ausfahrt nach Bad Salzdetfurth, nichts Anstrengendes. Aber der Mann vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) rollt auch mit einem High-Tech-Fahrrad vor, leicht und robust, eine Schaltung mit 27 Gängen, komfortabler Sattel, dickes Profil auf den Reifen. Ich steige auf ein altes Damenrad mit schwarzem Stahlrahmen. Eine Gangschaltung hat es nicht, dafür aber einen elegant gebogenen Lenker. Der vordere Reifen ist von Rissen durchzogen, der könnte noch original sein, aus dem Jahr 1966. Eine angeheiratete Verwandte hatte den Drahtesel der Marke Diamant damals gekauft – seit einigen Monaten bin ich darauf unterwegs, zwar täglich, aber auf der Ultrakurz-Strecke: 700 Meter morgens zur Redaktion. 700 Meter abends zurück.
Die Fahrt nach Bad Salzdetfurth ist also eine Testfahrt: Es geht darum, einen schönen Weg zu erkunden. Aber es geht auch um die Frage, wie viel Fahrrad man eigentlich braucht, um einmal etwas weiter zu fahren als ins Büro oder zum Einkaufen. Also: Auf in den Ledersattel. Start ist an der Jowiese. Es ist später Vormittag, die Sonne brennt bereits. Georg Körner, der Mann vom ADFC, rollt los. Wir sind zu zweit, weitere Mitfahrer gibt es nicht – vielleicht wird es zu warm? Am Ufer der Innerste lagern junge Menschen, eine neunte Klasse vom Goethegymnasium will den Tag mit Fußballspielen und auf der Picknickdecke verbringen. Wir treten in die Pedalen, im Schatten großer Linden geht es entlang der Innerste nach Süden. Da! Auf der anderen Flussseite paddelt ein pelziges Tier direkt am Ufer entlang: eine Bisamratte. Kurz darauf, wir passieren gerade das Überlaufbecken, biegen andere Wasserratten um eine Flussschleife. Ein Kanu gleitet vorbei, vier Mädchen stechen rhythmisch wie ein Uhrwerk ihre Paddel in das Wasser.
Am roten Stein, der dem Naturschutzgebiet entlang der Innerste den Namen gegeben hat, biegen wir rechts ab. Denn wir wollen nicht nur Fluss sehen, sondern uns auch einen Überblick über das Land verschaffen. Vor uns liegt der grün bewaldete Tosmar. Für ein Fahrrad ohne Gangschaltung wird das die erste Bewährungsprobe sein. „Aber wir fahren nicht ganz hinauf“, beruhigt mich der Mann auf dem Rad vor mir. Noch geht es durch flaches Land. Die Gerste glänzt in der Sonne, in die Feldränder sind roter Mohn und himmelblaue Kornblumen hineingetupft. Südlich von Ochtersum überqueren wir die Bundesstraße 243 und rollen nun auf glattem Asphalt in Richtung Söhre. Hinter Barienrode überholen wir einen Mann und eine Frau in bunter Kleidung. Die beiden wandern unter den Apfelbäumen am Straßenrand. „Auf Schusters Rappen“ hieß das früher, als das Wandern für diejenigen ohne Geld die einzige Möglichkeit war, durch das Land zu kommen. „Rumänien“, sagt der Mann auf die Frage, woher er kommt. Doch wohin er will, kann er nicht erklären – er hebt sprachlos die Hände.
Ein spitzer Stein – und pfffft …
In einer Senke vor uns liegt Söhre am kleinen Bächlein Beuster. Wir rollen durch das Dorf, dann die Röderhofer Straße wieder hinaus. Sanft geht die Fahrt nun aufwärts, durchs freie Feld mit Raps, Rüben und Weizen. Die Räder rollen über derben Schotter. Ein spitzer Stein könnte sich jetzt durch den porösen Vorderreifen bohren und dem Schlauch zum Verhängnis werden. Dann müssten wir das Flickzeug herausholen, das Georg Körner bei allen geführten Radtouren dabei hat. Auch er mag lieber das feine Mineralgemisch als Wegebefestigung. Regenwasser verdichtet es, die Räder rollen darauf gut. „Aber jetzt nehmen sie nur noch Schotter, ist wohl billiger.“ In der Ferne tuckert ein Traktor über das Feld und zieht eine mächtige Staubwolke hinter sich her. Es geht weiter leicht bergauf. Als wir auf der Kuppe des Hügels ankommen, sehen wir, was der Landwirt zu schaffen hatte: Auf dem Feld liegt Rübenschlamm, von der Sonne zu harten Krusten gebacken. Der Traktor hat mit großen Krallen Furchen hineingezogen. Jetzt steht das grüne Fahrzeug verlassen neben dem schwach stinkenden Schlamm, vom Röderhof dringt das dünne Stimmchen der Kirchenglocke herauf: Dort ist Mittagspause.
Jetzt geht es bergab, schnurgerade sausen die beiden Fahrräder auf das Gut zu und die benachbarte Caritas-Heimstatt für geistig behinderte Kinder und Erwachsene. Eine Marienstatue unter einer Linde fliegt rechts vorbei, dann geht es durch eine Kurve, am Fischteich mit seinen Seerosen vorbei, schon haben wir den Röderhof hinter uns gelassen. Als wir ausrollen und der Fahrtwind weniger laut um die Ohren pfeift, hören wir wieder die Lerchen jubilieren. Über dem Wald kreist ein Bussard. Und schon geht es wieder bergauf, den Weg zum Waldfrieden. Am Rad von Georg Körner klickert die Gangschaltung, mir bleibt nur, verbissen in die Pedale zu treten. Und tatsächlich: Auch diese Steigung ist zu schaffen – und zwar ohne aus dem Sattel zu gehen. Oben belohnt uns die Aussicht auf das Innerstetal. Zu unseren Füßen liegt Groß Düngen, weiß ragt der Turm des alten Feuerwehrgerätehauses empor, dahinter liegen Lechstedt und Heinde. Durch die Landschaft rollt ein roter Zug, es ist die Bahn aus Goslar.
Dann geht es hinab ins Lammetal. Der Fahrtwind trocknet die Schweißperlen auf der Stirn, gegen die Schienbeine spritzen kleine Steinchen, die vom Vorderrad hochgewirbelt werden. Ab Wesseln geht es wieder über befestigte Straßen, parallel zur Lamme. In Detfurth machen wir am Solebad kurze Rast. Wem die Strecke schon ausreicht, der kann hier einkehren und ein paar Schritte durch den Kurpark gehen. Uns zieht es weiter, und kurz danach rollen wir in Bad Salzdetfurth ein. Die Fachwerkhäuser liegen im Sonnenschein, am Geländer zur Lamme prangen bunte Blumen in den Kästen. Uns aber zieht es in den Schatten, unter einen Sonnenschirm des Eiscafés Dolce Vita. Den Rückweg legen wir am anderen Ufer der Lamme zurück. Bei der Ausfahrt aus dem Städtchen überholt uns ein blau-gelber Zug der Eurobahn. Doch nicht jeder hat es eilig an diesem Tag: An einer Weggabelung, unter drei Pappeln und einem großen hölzernen Kreuz, bietet eine Bank drei alten Damen einen Ruheplatz. Seit 1978 wandern Frieda Nahrmann, Ilse Hornburg und Christine Henjes jeden Dienstag durchs Land. „Früher zum Söhrer Forsthaus, aber das ist uns jetzt zu weit“, erzählen die drei. Heute, an diesem warmen Tag, gehen sie nur eine kurze Strecke – und sie nehmen sich viel Zeit zum Reden.
Himbeerkuchen lockt zur Domäne
Ein weiteres Kreuz passieren wir zwischen Klein und Groß Düngen, im Stein prangt die Jahreszahl 1853. In Groß Düngen lassen wir den Bahnhof links liegen und fahren Richtung Itzum, mal auf Feldwegen, mal auf Asphalt. Über der Innerste erhebt sich die Lavesbrücke, die nach dem hannoverschen Staatsarchiteken Georg Ludwig Friedrich Laves benannt ist. Unten gluckert das Wasser, ein Teil des Ufers ist kahl. „An solchen Abbruchkanten soll man sogar Eisvögel beobachten können“, sagt Körner. Wir sehen keine. Auf einem Damm geht es weiter, unter Apfelbäumen. Jetzt, in der Nähe von Hildesheim, kommen uns zum ersten Mal Radfahrer entgegen: ein altes Ehepaar, dann eine Gruppe junger Mädchen. Die nächste Gelegenheit für eine Rast naht: Vor uns liegt nun die Domäne Marienburg, überragt von einem großen Baukran. Auf der Terrasse vor dem Hofcafé sitzt Jörn Feldhausen bei einem Café Latte und Himbeerkuchen. Er war beruflich unterwegs und gönnt sich eine verspätete Mittagspause. Am Wochenende kommt er auch gern mit dem Fahrrad hierher. „Absolut perfekt“ sei der Ort, lobt Feldhausen, ruhig und gut zu erreichen – und der Kuchen sei sowieso klasse.
Weiter geht es durch einen Auenwald, in dem alte Weiden aus dem Morast ragen oder längst in ihm versinken. Angenehm kühl ist es. Dann rollen wir die letzten Meter bis zur Jowiese, unserem Startpunkt. 35 Kilometer zeigt das Tacho von Georg Körner.
Und mein Fahrrad? Ist sehr staubig. Aber die Strecke hat es ohne Murren bewältigt. Klar: Eine Gangschaltung hätte an einigen Stellen weitergeholfen. Wer aber ohne fährt, hat ein Extra weniger, das kaputtgehen kann. Und nichts macht das Radfahren selbstverständlicher als ein Fahrrad, das jederzeit einsatzbereit ist. Für die Ultra-Kurzstrecke ins Büro – oder auch zur Kaffeefahrt nach Bad Salzdetfurth.
Zur Strecke
Strecke bis Bad Salzdetfurth = 18 km
Start: Freibad Johanneswiese an der Innerste in Hildesheim
Ziele: Röderhof, Gradierwerk, Eiscafe
Mein Fazit
Die Strecke führt viel über Feldwege, manche davon geschottert. Es geht durch Felder und an einem Wald entlang, einige Dörfer liegen an der Strecke. Die wenigen Steigungen sind maßvoll, doch wer oben ist, bekommt einen schönen Überblick über die Landschaft.
Die Strecke ist auch für alle geeignet, die nur selten fahren – wer keine Kraft mehr hat, kann in Wesseln abkürzen und wieder nach Hildesheim zurückfahren.
Unterwegs einkehren
Erfrischungen wie Eis und kühle Getränke gibt es in den meisten Orten entlang der Strecke. Lohnend ist ein kurzer Abstecher zum Landhaus am Sonnenberg: Das Ausflugslokal (nahe Egenstedt) liegt an der Strecke kurz hinter Röderhof, bietet Aussicht und auf drei Terrassen einen Biergarten mit 200 Plätzen. Öffnungszeiten: Montag und Sonntag 12 bis 21 Uhr, Dienstag bis Samstag 12 bis 22 Uhr. Warme Küche wird bis eine Stunde vor Schließung angeboten. Feines Eis bietet das Eiscafé Dolce Vita in Bad Salzdetfurth. Achtung: Wer eines aus der Waffel möchte, muss sich am Wochenende schon mal in die Schlange einreihen.
Eine ausführliche Karte von der Tour zum Ausdrucken finden Sie unter www.hi-radtouren.de unter dem Punkt „Radtouren zum Nachfahren/HAZ-Radtouren“.