Tour 11: Querfeldein nach Laatzen
Viele Wege führen nach Laatzen
Von Judith Seiffert
Es gibt Sätze, die hören untrainierte Radfahrer gar nicht gern. „Der schnellste Weg nach Laatzen führt über Sarstedt – den nehmen wir aber nicht“ ist so einer. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Bauch komme ich folglich am verabredeten Treffpunkt an der Ecke Einumer Straße und Kennedydamm an und stoße dort auf außerordentlich gut gerüstete Radler: Uwe Jenss vom ADFC und unsere Mitfahrer Rosemarie „Rosi“ Adelt, Heidi Merten und Martin Aland. „Keine Sorge, die Strecke ist gut zu fahren“, macht Jenss mir Mut. Dass er schon mal quer durch Madagaskar geradelt ist, erzählt er mir zum Glück erst rund 40 Kilometer später. So starte ich einigermaßen beruhigt zu unserer rund 50 Kilometer langen Radtour. Immerhin klingt das Ziel verlockend: das Wiesendachhaus in Laatzen. Leckeres Essen gebe es dort, meint Jenss. Na dann mal los.
„Ich habe versucht, Wege abseits der Straße auszuwählen“, erzählt Jenss, während wir die Einumer Straße Richtung Osten radeln. Ein Versprechen, das er zu meinem großen Erstaunen bereits einlöst, während wir noch in Hildesheim sind. Hinter dem Bahnübergang biegen wir links in die Zeppelinstraße ein. Nach wenigen hundert Metern geht es nach rechts – und schon sind wir mitten in der Natur. Auf einer herrlich ruhigen Strecke fahren wir parallel zur Bahnlinie Richtung Braunschweig. Züge brausen hier nicht entlang, stattdessen winken wir den Bahnarbeitern zu, die an der Strecke arbeiten. Schon nach einer kurzen Zeit haben wir Bavenstedt erreicht, das wir flugs durchqueren. Immer geradeaus heißt die Devise – in der Ferne kann ich bereits das Borsumer Holz erkennen. Jenss hat nicht gelogen: Die Strecke ist tatsächlich gut zu fahren, trotz der leichten Steigung zum Borsumer Holz habe ich genügend Puste, um mich mit meinen Mitfahrern zu unterhalten. „Da sind die Hochhäuser vom Trockenen Kamp zu sehen“, ruft mir Heidi Merten zu. Ich drehe mich um und werde mit einem Panoramablick auf das zwischen Feldern liegende Hildesheim belohnt. Die Heimat kann erstaunlich schön sein – wenn man sie mal aus einer anderen Perspektive sieht.
Richtung Nordosten fahren wir um das Borsumer Holz herum und schließlich an Borsum vorbei. Harsum lassen wir an diesem Tag links liegen, unser Weg führt uns über den Bruchgraben zum Borsumer Pass. Der Biergarten neben der Gaststätte sieht einladend aus, doch wir fahren weiter. Immerhin haben wir den Großteil der Strecke noch vor uns. Kurz hinter dem Borsumer Pass müssen wir die Bundesstraße 494 überqueren. Mit Tempo 80 brausen die Autos an uns vorbei. Nicht ganz ungefährlich, gibt Jenss zu. „Aber leider führen über den Bruchgraben so wenig Brücken, deswegen müssen wir hier lang.“ Einen Moment später radeln wir wieder am blühenden Mohn vorbei, zwischen Weizen- und Maisfeldern hindurch, immer Richtung Algermissen. Es riecht nach gemähtem Gras und Schaf. Doch so sehr ich mir auch den Hals verrenke, ich kann keins der wolligen Tiere entdecken.
So langsam komme ich in Schwung. Auf den Wegen lässt es sich herrlich fahren, denke ich gerade, als wir kurz vor Algermissen plötzlich mitten im Schotter landen. Herrlich ist hier gar nichts mehr: Meine Beinmuskeln fühlen sich schon nach fünf Metern verknotet an. Uwe Jenss hingegen, so scheint es, wird jetzt erst richtig munter. Nach rund fünf Minuten Wadenk(r)ampf liegt die Schotterstrecke hinter uns und vor uns steht Herr Otto. Oder besser gesagt: sitzt Herr Otto. Im Führerhäuschen seines Kleinlasters macht Egon Otto aus der Ottostraße in Hopsten gerade seine Mittagspause. Als wir ihn im Vorbeiradeln begrüßen, blickt er von seiner Zeitung auf. „Na? Haben Sie es über den Schotter geschafft? In einer Woche liegt hier übrigens Asphalt“, ruft er vergnügt hinter uns her. Ein lustiges Völkchen, die Hopstener.
Wenig später haben wir Algermissen in nordöstlicher Richtung durchquert und es wird Zeit für die Mittagspause. Zum Glück. Jenss’ Schwärmerei für das Wiesendachhaus hat meinen Magen bereits vor zehn Kilometern zum Knurren gebracht. „Wir haben jetzt knapp die Hälfte der Strecke geschafft“, sagt Jenss und ich bin ein bisschen beeindruckt. Von der Anstrengung auf der kurzen Schotterstecke mal abgesehen fühle ich mich erstaunlich fit.
Für unseren Rastplatz verlassen wir die auf der Radtouren- und Freizeit-Karte des Hildesheimer Landkreises eingezeichneten Strecke und radeln zur Wätzumer Tonkuhle. Die Aussicht auf das Wasser und das dahinterliegende Algermissen ist traumhaft. Ein Schwan dümpelt über den kleinen See, im Schilf hockt ein Fischreiher. Keine Frage, Ornithologen kommen an der Wätzumer Tonkuhle auf ihre Kosten. Ich bereue, dass ich mein Teleobjektiv nicht dabei habe.
Eine halbe Stunde und zwei Bananen später sitzen wir wieder im Sattel und lassen Wätzum hinter uns. Hinter Ummeln geht es Richtung Nordwesten, in der Ferne leuchtet weiß die Abraumhalde des Kali-Bergbaus in Sehnde. Kurz bevor wir das Wäldchen am Hildesheimer Zweigkanal erreichen, versperrt uns eine Bahnschranke den Weg. „Bitte klingeln“ steht an einem kleinen gelben Stromkasten, der etwas verloren am Wegesrand steht. Das lassen wir uns nicht zweimal sagen. Der Schrankenwärter leider schon. Nach Klingelversuch Nummer drei röhrt schließlich eine knarzige Stimme aus dem Lautsprecher und die Schranke hebt sich. Über eine Brücke geht es über den Hildesheimer Stichkanal. Der Blick auf die riesige Baustelle an der Bolzumer Schleuse ist so beeindruckend, dass wir nicht direkt nach Bolzum weiterfahren, sondern einen kurzen Abstecher Richtung Schleuse machen. Ein Umweg, der sich lohnt. Eine hölzerne Plattform bietet eine fantastische Aussicht, zudem verraten Schautafeln jede Menge Infos rund um den Ausbau des Stichkanals.
Hinter Bolzum fahren wir weiter nach Wehmingen und Wirringen. Dort verlassen wir den ausgeschilderten Radweg nach Laatzen und radeln stattdessen geradeaus durch die Storchen- und die Bokumer Straße und überqueren die A 7. An der Wüstung Bokum machen wir Halt und ruhen uns kurz im Schatten unter den Bäumen aus. Dort, wo vor dem 30-jährigen Krieg ein Dorf stand, erinnert heute nur noch ein Gedenkstein an die Ortschaft.
Weiter geht es Richtung Kronsberg und Laatzen. Auf die Karte und auf Jenss’ GPS brauchen wir nicht mehr schauen, Wegweiser verraten uns, wo es lang geht. Schon aus der Ferne kann ich die markanten Bäume auf dem Aussichtspunkt am Kronsberg erkennen. Wenig später stehen wir vor dem Hügel und wagen uns nach oben. „Wer seine Atemwege liebt, der schiebt“, denke ich bereits nach ein paar Metern und steige ab, während der 70-jährige Jenss mühelos den steilen Weg nach oben fährt. Dass es auch einen schneckenartigen und wesentlich weniger anstrengenden Pfad gibt, der auf den Hügel führt, merke ich erst auf halber Strecke. Wenn schon Rad fahren, dann auch richtig. Einige mühselige Minuten später liegt uns das ehemalige Expo-Gelände zu Füßen. „Bei guter Sicht kann man sogar den Brocken sehen“, sagt Jenss. Heute reicht die Weitsicht immerhin für den Hildesheimer Aussichtsturm.
An IKEA vorbei führt uns der Weg nach Laatzen. Dort fahren wir auf dem Hannoverschen Radwanderweg „Grüner Ring“ – warum die Markierungen für den Weg blau sind, kann allerdings auch Jenss nicht erklären. Am Park der Sinne vorbei radeln wir Richtung Alte Leine. Der Endspurt hat begonnen: An Kuhweiden vorbei und durch ein Wäldchen hindurch geht es erstaunlich schnell zum Wiesendachhaus. Der Gedanke an Bockwurst mit Fritten treibt mich zu ungeahnten Höchstleistungen an. Groß ist deshalb meine Enttäuschung, als wir am Ziel ankommen. „Montags Ruhetag“ lese ich dort. Dummerweise ist heute Montag.* Einen echten Radprofi haut das nicht um. Jenss, Aland, Adelt und Merten zaubern kurzerhand Kartoffelsalat, Mohrrüben, Obst und Schokolade auf den Tisch und bieten mir an, mitzuessen. Etwas verschämt greife ich zu. Radtour-Anfänger machen eben Fehler. Aber immerhin bin ich angekommen.
Wer möchte, kann vom Wiesendachhaus aus rund 30 Kilometer über Sarstedt nach Hildesheim zurückradeln. Wem das zu weit ist, der kann vom Bahnhof „Hannover Messe/Laatzen“ aus stündlich die S-Bahn nach Hildesheim nehmen. Fahrkarten müssen am Automaten gelöst werden. Der Preis beträgt 9,10 Euro für die Fahrradkarte. Am Nordeingang, Münchener Straße, führt ein Fahrstuhl zu den Gleisen.
*Anmerkung der Redaktion: Die Öffnungszeiten sind seit Erscheinen des Artikels geändert worden. Das Wiesendachhaus hat täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet.
Zur Strecke
Tourlänge Hildesheim – Laatzen: 41 km
Start: Zingel/Einumer Str. (Volksbank) in Hildesheim
Ziele: Neubau Schleuse Bolzum, Grasdachhaus, Bahnhof Messe-Laatzen
Mein Fazit
Die Fahrt zum Wiesendachhaus durch den Nordostkreis ist mit 50 Kilometern zwar recht lang – vor allem, wenn man sich dazu entschließt, die 30 Kilometer lange Strecke über Sarstedt zurückzufahren. Doch dank gut asphaltierter und zumeist ebener Wege lässt sich die Strecke auch von ungeübten Radlern gut bewältigen. Spaß macht die Tour vor allem, weil die Wege fast ausschließlich mitten durch die Natur führen. Es lohnt sich, das Fernglas einzupacken. An der Wätzumer Tonkuhle und auf dem Kronsberg lassen sich gut Vögel beobachten.
Unterwegs einkehren
Da die Radtour überwiegend durch Felder und Wäldchen führt, liegen nur wenig Einkehrmöglichkeiten direkt an der Strecke. Also am besten Stullen, Obst und Getränke in die Satteltasche packen. Gaststätten sind jedoch in jeder Ortschaft zu finden. Ansonsten können die Radler am „Borsumer Pass“ Rast machen. Ein Café gibt es auch im „Park der Sinne“ in Laatzen. Das Selbstbedienungsrestaurant „Wiesendachhaus“ in Laatzen ist bis zum 30. September täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet. Aber Vorsicht: Im Winter ist montags Ruhetag!
Eine ausführliche Karte von der Tour zum Ausdrucken finden Sie unter www.hi-radtouren.de unter dem Punkt „Radtouren zum Nachfahren/HAZ-Radtouren“.