Tour 01: Derneburg und Innerstetal
Auf einsamen Pfaden durchs Innerstetal
Von Sara Reinke
Treffpunkt Hindenburgplatz, mittags um 12 Uhr. Um mich herum rauscht der Verkehrslärm, Menschen eilen vorüber, am Springbrunnen plantscht ein kleiner Junge kreischend im Wasser. Mitten im Getümmel wartet Uwe Jenss von der Ortsgruppe Hildesheim des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Mit ihm bin ich verabredet, um als erstes von sechs Redaktionsmitgliedern eine der schönsten Fahrradtouren durch das Hildesheimer Land zu testen. Die Routen hat der ADFC ausgearbeitet, der auch jedem von uns einen erfahrenen Begleiter zur Seite stellt.
Uwe Jenss, 67 Jahre alt und gerade frisch von einer Radtour durch Tschechien zurückgekehrt, ist im Gegensatz zu mir topfit und durchtrainiert. Zur Begrüßung reicht er mir ein Taschentuch, mit dem ich meine ölverschmierten Finger abwischen kann und sagt: „Ich habe auch eine Regenjacke für Sie dabei.“ Die ölverschmierten Hände habe ich, weil mir gleich auf den ersten Metern die Fahrradkette abgesprungen ist. Doch das bleibt zum Glück die einzige Panne. Auch Jenss‘ Regenjacke muss ich nicht in Anspruch nehmen – trotz Unheil verkündender Wolken am Himmel bleibt es die ganze Zeit über trocken. Der Fahrradtacho zeigt 24 Grad, es weht ein mäßiger Wind. „Windstärke drei bis vier“, meint Jenss, der einmal Geographie studiert hat.
Viel Natur, kaum Menschen
Nachdem er das GPS-Gerät an meinem Fahrradlenker montiert und mir die wichtigsten Funktionen erklärt hat (siehe Kasten), geht es los. über die Goslarsche Straße fahren wir in östlicher Richtung stadtauswärts, zunächst noch im relativ dichten Stadtverkehr. Hinter der Autobahnüberführung geht es dann links ab nach Achtum, geradeaus durch den Ort und dann über einen schnurgeraden Feldweg weiter Richtung Ottbergen. Kurz hinter Achtum kommt uns eine Frau mit Hund entgegen, danach begegnen wir viele Kilometer lang keiner Menschenseele. Über einem frisch abgeernteten Getreidefeld kreist ein Falke. Doch er macht seinen Job schlecht: Zweimal sehen wir eine Maus unbekümmert über den Weg huschen.
An einer Wegkreuzung kurz vor Ottbergen lädt eine kleine Wiese mit ein paar Picknicktischen zur Rast ein. Ein Feldkreuz von 1879 kennzeichnet die markante Weggabelung. Im Jahr 1992 kam ein Findling mit der Aufschrift „Schützt die Hildesheimer Börde“ hinzu. Damals war geplant, an dieser Stelle eine Mülldeponie zu errichten, was aber zum Glück nie geschehen ist.
Weiter geht es entlang von Erdbeerfeldern (ordentlich eingezäunt, leider) nach Ottbergen. Abweichend von der eigentlichen Route bietet sich hier ein Abstecher auf den idyllischen Kapellenberg an. Auf dem breiten, von 14 Apostelbildern gesäumten Grasweg muss ich zum ersten Mal auf der sonst sehr ebenen Strecke auf eine kleine Übersetzung umschalten. Doch die etwas anstrengende Auffahrt lohnt sich: Im Schatten einer Esskastanie genießen wir von oben trotz des leicht diesigen Wetters einen phantastischen Blick bis zum Andreaskirchturm. Neben der neuromanischen Kreuzkapelle gibt es an diesem historischen Wallfahrtsort auch noch einen Nachbau der berühmten Mariengrotte von Lourdes zu bewundern.
Mit Schwung bergab
Auf dem Stichweg zur Kapelle fahren wir zurück nach Ottbergen und biegen, kurz bevor wir am Fuß des Hangs auf die Hauptstraße nach Wendhausen stoßen, scharf links ab. Ein unbefestigter Waldweg führt am Rand des Vorholzes über einen leichten Anstieg und anschließend auf asphaltierter Strecke weiter zur Bundesstraße 6. Bergab folgen wir dem Radweg über die Autobahnbrücke. „Geradeaus weiter“, ruft Jenss hinter mir, als ich, wie auf dem GPS angezeigt, rechts in einen Feldweg abbiegen will. In Astenbeck angekommen, erklärt er mir, warum: „So konnten wir den Schwung bergab viel besser ausnutzen.“ Ein Blick auf das Höhenprofil des GPS bestätigt das: Fast 100 Meter Höhenunterschied am Stück haben wir gemütlich bergab rollend überwunden. Wer lieber weiter ab vom Verkehr fährt, kann hier alternativ den Weg über die Felder Richtung Heersum wählen. An der Bundesstraße sehen wir in Astenbeck rechter Hand einen Gutshof liegen, die „Fürstlich Münster von Derneburgsche Brennerei Astenbeck“, in der „Astenbecker“-Schnaps gebrannt wird. Auf Nachfrage werden hier auch Führungen angeboten – allerdings nur in der Zeit von Januar bis Juni (Telefon 0 50 62 / 3 13). Das Glashaus bleibt jedoch wegen Renovierungsarbeiten von Mai bis August 2019 geschlossen.
Jenss schlägt vor, noch einen Abstecher zum Zusammenfluss von Nette und Innerste zu unternehmen. Hinter der Innerstebrücke fahren wir rechts Richtung Kläranlage und folgen dem rechter Hand abzweigenden, ziemlich holprigen Grasweg. Auf der Landzunge gibt es ein hübsches Plätzchen für eine kleine Pause. Doch für uns geht die Fahrt nach einem kurzen Fotostopp schon weiter.
Zurück auf der Hauptstraße fahren wir Richtung Derneburg. Eine Allee führt an den Fischteichen vorbei zum Gelände des historischen Klosters und späteren Schlosses. Der „Laves-Kulturpfad“, ein kulturhistorischer Rundwanderweg, zweigt kurz vor Erreichen des Schlosses rechts ab. Um einen Eindruck zu gewinnen, folgen wir ihm für einige Meter und sehen linker Hand die Mühle, rechts das Fischerhaus liegen, bevor wir schließlich die „Lavesbrücke“ erreichen, eine Fußgängerbrücke über die Nette, deren spezielle Konstruktion Architektenherzen höher schlagen lässt. Dort wenden wir und fahren auf der Allee weiter zum Schloss.
Der Umkehrpunkt unserer Tour ist das Glashaus Derneburg. Auf der Terrasse des idyllisch gelegenen Kultur- und Veranstaltungshauses im ehemaligen Gewächshaus der Schlossgärtnerei erholen wir uns bei Kaffee und frisch gebackenem Kuchen von der ersten Hälfte der Radtour. Inklusive der beschriebenen Abstecher liegen jetzt etwa 24 Kilometer hinter uns. Ein Schild auf dem Schlossgelände weist die direkte Entfernung Derneburg-Hildesheim mit 18 Kilometern aus. Mein Blick schweift über Kuhweiden und ein hübsches Fachwerkhäuschen – wer immer hier wohnt, ich beneide ihn.
Gut gestärkt können uns auf dem Rückweg weder die kleine Anhöhe zwischen Derneburg und Hockeln noch der schlechte Untergrund auf dem ersten Streckenabschnitt etwas anhaben. Als wir auf die Kreisstraße stoßen, wird das Radeln wieder leichter. Dafür müssen wir auf einer Strecke von etwa drei Kilometern auf der Fahrbahn fahren – hier gibt es keinen Radweg. Hinter Hockeln biegen wir rechts ab Richtung Listringen, überqueren die Bahngleise und die Innerstebrücke und wenden uns dann nach links, wo wir auf einem unbefestigten Feldweg direkt am Flussufer entlangfahren können. Wer hier verschnaufen möchte, dem bieten sich in den Auewiesen zahlreiche Gelegenheiten, eine Picknickdecke auszubreiten.
Bei Erreichen der Hauptstraße in Heinde fahren wir links und bis zum Ortsausgang und dann auf dem Radweg weiter in Richtung Groß Düngen. Dort halten wir uns am nördlichen Ortsrand. Kurz hinter dem Dorf gabelt sich der asphaltierte Feldweg und wir wenden uns nach rechts Richtung Itzum. Von hier aus können wir bereits die Domäne Marienburg sehen, wo im Hofcafé eine weitere Möglichkeit zum Einkehren besteht.
Doch zuvor liegt noch die neue Lavesbrücke und danach eine schöne Wegstrecke auf dem Innerstedeich vor uns. Rechter Hand grasen Schafe am Hang, ein Stück weiter wird Heu gefahren. Es riecht nach Sommer. Das schöne Wetter ist auch anderen nicht verborgen gewesen: Die vielen Spaziergänger, Radfahrer und Jogger weisen darauf hin, dass wir uns wieder dichter besiedelten Bereichen nähern.
Am Innersteufer entlang erreichen wir schließlich das Hildesheimer Stadtgebiet und fahren vom Hohnsen aus über Weinberg, Gelber Stern und Wollenweberstraße zurück zum Hindenburgplatz. 46 Kilometer stehen am Ende der knapp dreistündigen Tour (Pause nicht gerechnet) auf dem Fahrradtacho – ohne die beschriebenen Abstecher beträgt die Streckenlänge laut GPS 37 Kilometer.
Mein Fazit:
Dank ihrer geringen Höhenunterschiede ist die Tour auch von ungeübten Radfahrern gut zu bewältigen. Familien mit Kindern profitieren von den zahlreichen Rastmöglichkeiten, die es ohne weiteres erlauben, ein sehr ruhiges Tempo einzuschlagen und die Strecke als Tagesausflug zu planen. Etwas ungünstig für sie ist nur der drei Kilometer lange Abschnitt bei Hockeln, da es hier keine Alternative zum Fahren auf der Kreisstraße gibt. Zum Glück hält sich der Autoverkehr in diesem Bereich jedoch in Grenzen. (rei)