Tour 03: Straßenbahnmuseum Wehmingen
Rast am verschwundenen Dorf
Von Martin Schiepanski
Die Männer, die am Delmberg anrückten, kannten keine Gnade. Ohne Rücksicht auf Verluste wurde der Gegner bekämpft, Häuser und Höfe verwüstet oder angezündet. Während der Hildesheimer Stiftsfehde (1519 bis 1523) sind ganze Dörfer zerstört worden. Eines davon war Delm. Dort, nahe Hotteln, erinnern heute noch einige Eichen an die verschwundene kleine Ortschaft. Mit dem Auto ist die Stelle kaum zu erreichen. Radfahrer sollten dort aber auf jeden Fall anhalten. Wer aus Hildesheim kommend auf dem mit einer Hecke eingefassten Areal „Delmer Eichen“ vom Sattel steigt, hat bereits 20 Kilometer hinter sich.
Unsere Fahrt beginnt am Hohnsensee. Lothar Pollack und Gerd Künnemann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) haben die Strecke ausgearbeitet, und zu dritt bewegen wir uns erst einmal auf dem Radweg zur Kunst in Richtung Norden.
An der Innerste entlang durchqueren wir die Stadt. Bis Himmelsthür bekommen wir kein Auto zu sehen, erst am Gut Steuerwald endet die Radfahr-Idylle. Hier müssen wir ein Stück an der Mastbergstraße entlangradeln und biegen dann nach wenigen Metern in die Ruscheplatenstraße ein. Nach wenigen Minuten sind wir am Hafen. Im ersten Moment denke ich, dass die Tour hier bei den Binnenschiffen endet. Sackgasse. Aber nein: Pollack deutet auf ein kleines rot-weißes Schild mit einem Fahrradsymbol direkt neben dem Hafenbecken. Aha, hier verläuft also ein offizieller Radweg.
Vom Haseder Busch zum Kaliberg
Nach ein paar 100 Metern am Hafenbecken, vorbei an mehreren Hobbyanglern, ist die Idylle wieder da. Wir entfernen uns langsam von der Stadt, ihrer Hektik und ihrem Lärm. Hinter der Haseder Mühle beginnt das Naturschutzgebiet Haseder Busch. Ohne auf motorisierte Fortbewegungsmittel zu stoßen, erreichen wir Giesen. Wer die Aussicht genießen möchte, macht einen Abstecher zum Ehrenmal. Unser Weg führt aber über die Paradiesstraße in Richtung Norden. Nebenbei bemerkt: Straßennamen sind nicht immer sinnvoll. Kurz nach Verlassen der Ortschaft baut sich der Kaliberg links neben uns auf. „Besser bekommt man den Berg nirgends zu sehen“, betont Pollack. Ich glaube ihm und steige für diesen Moment extra vom Sattel. Er hat Recht. Es lohnt sich.
Weiter geht es nach Ahrbergen. Hier gibt es keinen Fahrradweg, aber auch kaum Autos. Wir lassen die Kiesteiche rechts liegen und bewegen uns auf einem Radweg geradeaus in Richtung Sarstedt. Am Bruchgraben angekommen, überqueren wir eine kleine Brücke und schlagen uns nach rechts auf einen Schotterweg, der zwischen Gartenkolonie und Bruchgraben nach Osten führt. Allerdings lohnt es sich auch, an dieser Stelle einen Abstecher in Sarstedts Innenstadt zu machen, die schnell zu erreichen ist. Wer Zeit hat, sollte das auch tun, denn Möglichkeiten zur Einkehr wird es bis zum Ziel nicht geben – und bis nach Wehmingen sind es noch gut sieben Kilometer.
Hinter Sarstedt müssen wir die B 6 überqueren. Aus Sicherheitsgründen lotsen Pollack und Künnemann mich ein paar hundert Meter nach Süden, um die Fahrbahn an einer Ampel zu bezwingen. Auf der anderen Seite angekommen, geht es ein paar hundert Meter nach Norden und dann den ersten Feldweg rechts ab in die Einsamkeit. Es wird hügelig, ohne anstrengend zu werden. In Gödrigen treffen wir wieder auf menschliches Leben und fahren an der Kirche vorbei auf der Daniel-Gieseke Straße aus dem Ort heraus.
Starke Aussicht am Delmberg
Jetzt beginnt der landschaftlich schönste Teil der Fahrt. Am Delmberg stoppt Pollack den Treck und bittet zum Rundblick. Über knallgelben Kornfeldern ist Hannover zu erkennen, deutlich zu sehen ist das Messegelände. Und kurz darauf stehen wir unter den Delmer Eichen. Hier, wo vor rund 500 Jahren Bauern ihre Gebäude stehen hatten, Viehzeug hielten und ihre Äcker bestellten, herrscht absolute Stille. Nach der Zerstörung ihres Hab und Gut haben sich die Delmer einst in den umliegenden Dörfern Unterschlupf gesucht. 1567 wurde der Ort offiziell für „wüst“ erklärt. Niemand kehrte an die Stelle, an der so erbittert gekämpft wurde, zurück. Nur die Ländereien wurden weiter bewirtschaftet.
Bis heute existiert die Realgemeinde Delm, selbst einen Bürgermeister und einen Rechnungsführer gibt es – traditionell stammen sie aus Ingeln, beziehungsweise Hotteln. Die Mitgliedschaft kann nur durch Erbfolge oder Einheirat erworben werden. Bei einer Pause unter den Eichen versuche ich, mir die Scharmützel zwischen den Truppen der Hildesheimer und der welfischen Herzöge vorzustellen.
Pollacks Aufbruchssignal reißt mich aus der Vergangenheit: „Es geht weiter, wir rollen von hier aus direkt auf Ingeln zu.“ Ingeln gehört zur Region Hannover, irgendwo auf dieser leicht abschüssigen Strecke muss die Grenze zwischen den Landkreisen verlaufen. In Ingeln fahren wir auf die Stiftungsstraße, dann aus dem Ort heraus, gleich wieder links und radeln über die Brücke, die die Autobahn 7 überspannt. Gleich nach der Brücke biegen wir links auf einen Wirtschaftsweg. „Leider ist die Route zum Straßenbahnmuseum nicht ausgeschildert“, kritisiert Pollack.
Also muss sich der Radler ab jetzt an einige markante Punkte halten: Am Eon-Umspannwerk vorbei, dann eine Schafweide links liegen lassen und danach rechts abbiegen. Wenn die Fahrbahn immer radunfreundlicher wird, stimmt die Richtung.
Nach 25 Kilometern und knapp drei Stunden Fahrt stehen wir vor dem Straßenbahnmuseum. Nach dem Ritt auf dem Sattel ist es besonders schön, sich die Fahrzeuge anzuschauen, mit denen man ohne Muskelkraft vorankommt. Außerdem gibt es hier Kaffee und Kuchen und viel zu sehen. Keine Eile, es gibt viel Interessantes zu entdecken. Das Museum, in dem mehrere alte Waggons und Triebwagen ausgestellt sind, ist 1987 eingerichtet worden. Bis zum Anfang des vergangenen Jahrhunderts gehörte das Gelände zu den Kaliwerken. Der dortige Schacht Hohenfels wurde in den 1920er-Jahren stillgelegt. Danach waren Gelände und Gebäude lange ungenutzt.
Für den Rückweg hat Pollack eine Alternativstrecke am Stichkanal ausgearbeitet. Vom Museum aus fahren wir nach Bledeln, von dort weiter nach Lühnde, alles auf dem Radweg. In Lühnde folgen wir dem Schild „Sehnde/Bolzum“ und nach hundert Metern dem Hinweis „Wätzum“. Der Radweg endet am Kanal. Und es beginnt an dieser Stelle eine Route, die direkt an der Schifffahrtsstrecke entlang nach Hildesheim führt. Der Untergrund ist nicht immer angenehm. Die Strecke hat Schotter zu bieten, erdigen Boden und in einem Waldstück auch einen durch Wurzeln zersetzten Pfad, der danach schreit, das Rad zu schieben.
Elf Kilometer lang ist der Weg von Lühnde zum Hildesheimer Hafen. Auf bekannten Wegen geht es zurück zum Hohnsensee. Künnemanns Tacho stoppt bei 50 Kilometern und es endet eine Fahrt, die viel an vergangene Zeiten erinnert hat – so sehr, dass ich erst jetzt an meine Muskeln denke. Und am nächsten Tag werde ich sie dann auch spüren. Aber das ist es wert gewesen.
Mein Fazit:
Die Tour nach Wehmingen ist anspruchsvoll, aber auch von weniger geübten Radfahrern zu bewältigen. Allerdings sollte man sich dafür einen Tag lang Zeit nehmen. Bei mittlerem Tempo und ausreichend Pausen müssen für den Hinweg dreieinhalb Stunden eingeplant werden, für den Rückweg am Kanal etwas weniger. Hinzu kommt die Zeit im Straßenbahnmuseum, die nicht zu knapp bemessen sein darf. Mitradelnde Kinder sollten mindestens zwölf Jahre alt sein, da nicht immer Radwege vorhanden sind und auch die Strecke am Kanal eine gewisse Disziplin erfordert. (ski)
Straßenbahnmuseum:
Das Hannoversche Straßenbahnmuseum hat bis zum 31. Oktober immer sonntags und an Feiertagen, sowie am Sonntag, 8. Dezember, von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Erwachsene zahlen 7,50 Euro Eintritt, Kinder 4 Euro. Die Familienkarte kostet 20 Euro. Auf dem Gelände gibt es ein Bistro und neben vielen Exponaten auch die Möglichkeit, mit der Tram aus alten Zeiten zu fahren. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.tram-museum.de und unter der Telefonnummer 05138/4575.