Tour 02: Schloss Marienburg
Über die Leine zum Welfenschloss
Von Valea Böhm
Ungefähr bei Kilometer 20 fängt Freddie Mercury an, in meinem Kopf zu singen. „I want to ride my bicycle, I want to ride my bike“, plärrt er den Hit von Queen aus dem Jahr 1978. Die Sonne brennt, rechts und links von mir wiegt sich der Weizen im leichten Wind. Ich höre Freddie nicht weiter zu, sondern trete in die Pedale und schaue vorsichtig nach vorn. Dort liegt ein Berg. Vielleicht auch eher ein Hügel. Aber bei gefühlten 35 Grad im Schatten kommt mir jede mickrige Erhebung vor wie ein Berg. Dabei sind wir beinahe am Ziel – links im Wald versteckt wartet die Marienburg auf uns. Und eine große kalte Apfelschorle auf mich.
Zwei Stunden zuvor beginnt die Radtour an der Brücke bei der Jo-Wiese. Kurz vorher habe ich mir meinen Drahtesel bei „Fahrrad Ritzel“ in der Osterstraße geliehen, 8 Euro am Tag kostet das. Die Herren vom ADFC, Herbert Durant, Uwe Jenss und Georg Körner, sind pünktlich am vereinbarten Treffpunkt. 39 Kilometer liegen vor uns, über Himmelsthür, Rössing und Schulenburg zum Schloss Marienburg und wieder zurück durch Nordstemmen, Heyersum und Himmelsthür. Zu Beginn fahren wir neben der Kanustrecke entlang, die Innerste plätschert an unserer Seite. Kurz nachdem die Strecke in einen Feldweg übergeht, blitzt Gut Steuerwald rechts von mir zwischen den Bäumen hindurch. Neben uns fließt jetzt nicht mehr die Innerste, sondern der Kupferstrang, ein kleiner Bach. Aus dem Innerstetal heraus geht es durch Himmelsthür. Ich halte die Nase in den Fahrtwind und genieße das Wetter. Ab Himmelsthür muss man sich immer an den kleinen Schildern mit roten Pfeilen orientieren. Der Ortsteil liegt verschlafen in der Mittagssonne, die Straßen scheinen uns allein zu gehören. Links von mir sehe ich noch den kleinen Teich an der Salzwiese und dann verlassen wir Himmelsthür auch schon wieder.
Auf dem Fahrradweg Richtung Emmerke sehe ich rechts zuerst den Osterberg (und bin froh, dass ich da nicht hoch muss) und nach kurzer Zeit nur noch saftig grünen Mais. „Schauen Sie mal nach vorn, da sehen Sie unser Ziel schon“, sagt Körner. Und tatsächlich, weit in der Ferne, kann ich einen kleinen Turm erkennen – Schloss Marienburg. Hinter Emmerke führen wir unsere Fahrt durch die Felder fort. Kürzer wäre der Weg durch Klein Escherde, aber wir biegen kurz vor dem Dorf rechts ab – der kleine Umweg soll die Fahrradtour verschönern. An den Feldern blüht noch ein wenig Klatschmohn, riesige Disteln haben sich ihren Platz erobert und das Zirpen der Grillen begleitet uns den ganzen Weg. Für Familien mit Kindern lohnt es sich, einen Naturführer einzupacken und sich hier am Feldrand ein wenig umzusehen. Mit etwas Glück sieht man vielleicht sogar eine Blindschleiche. Rechts von uns zeigt sich der „Kali-Manjaro“, wie Durant ihn nennt, der weiße Berg der Giesener Kaliwerke.
Auf halber Strecke zwischen Klein Escherde und Rössing kommt mir der erste Hügel entgegen. „Den nehmen wir jetzt mit Schmackes“, ruft Herbert Durant und fährt schwungvoll los. Ich hinterher, so schwungvoll wie es geht. Auf der anderen Seite geht es mit Tempo wieder herunter, bis schließlich der Rössingbach neben uns plätschert. In Rössing selbst machen wir einen Abstecher durch das Schloss. Der schöne Fachwerkbau wurde in den Jahren 1579 bis 1589 errichtet und ist heute noch im Privatbesitz der Familie von Rössing. Der kleine Schlosspark ist allerdings für Besucher zugänglich und macht Lust auf eine kleine Pause. Rössing selbst entpuppt sich als verträumtes, malerisches Fachwerkdorf – mit Holzzäunen, die von Stockrosen gesäumt sind, Apfelbäumen, die sich in den Vorgärten biegen und prachtvollen alten Höfen.
Aus dem Dorf heraus fahren wir wieder durch die Feldmark. Rechts von mir tauchen die ersten Kiesteiche auf. Ich verspüre das Bedürfnis, mich mitsamt meiner Kleidung in das kühle Nass zu stürzen, halte mich aber zurück. Kurz vor Schulenburg wandeln wir noch auf den Spuren alter Zeiten: Versteckt an der Straße befinden sich die Burgreste von Alt-Calenberg. Diese mittelalterliche Niederungsburg wurde vom welfischen Herzog Otto dem Strengen ab 1292 als Wasserburg errichtet und ab 1313 erstmals urkundlich erwähnt. Heute sind noch die Wallanlagen übrig sowie das alte Kellergemäuer. Für eine kleine Pause zum Herumstrolchen der perfekte Ort.
Das Ziel aber heißt Schloss Marienburg, und da will ich so langsam auch hin. In Schulenburg radeln wir über die mächtige Leine-Brücke, die 1752 erbaut wurde. Es ist die älteste Brücke in der Region Hannover. Links von mir liegt das Hofgut Calenberg, hier wohnt Prinz Ernst-August, wenn er in der Gegend ist. Ich knipse schnell ein Foto und verstecke die Kamera – falls der Prinz auftaucht und womöglich einen Sonnenschirm dabei hat. In Schulenburg, so lerne ich, gibt es sogar eine „Ernst-August-Straße“ – allerdings wohnt da nicht der Prinz.
Wir nähern uns der Burg nun von der hinteren Seite. Anstatt die Landstraße zur Marienburg hoch zu fahren, nehmen wir wieder die Feldwege. Alles, was ich jetzt sehe, ist der hohe Berg. Und während Freddie zu singen beginnt, trete ich in die Pedale, werde dabei immer langsamer und würde am liebsten absteigen, um zu schieben. Tue ich aber nicht und werde dafür mit der Aussicht von der Landstraße aus belohnt. Die Hildesheimer Tiefebene flimmert in der Mittagssonne. Hinten rechts zeigt sich wieder der „Kali-Manjaro“.
20 Minuten später sitze ich im Schlosshof und schlürfe meine Apfelschorle. 23 Kilometer haben wir bisher bewältigt. Die Fahrräder haben wir vor dem Gemäuer abgestellt, nun lassen wir es uns im Innenhof gut gehen. König Georg V. schenkte das Schloss einst seiner Frau Marie. Erbaut wurde es in den Jahren 1858 bis 1867. Nachdem das Königspaar um 1867 ins Exil ging, stand das Schloss längere Zeit leer. Heute können Besucher das historische Gebäude bei einer Führung kennen lernen.
Der beste Teil dieser Radtour folgt nach der Besichtigung der Marienburg: Es geht bergab. Rund drei Kilometer Richtung Nordstemmen sausen wir den Berg hinab. Schöner kann Radfahren gar nicht sein.
Durch Nordstemmen geht es schnell in Richtung Heyersum, ein weiteres pittoreskes Dorf auf unserer Strecke. Weniger schön ist das, was danach kommt: ein Hügel. Ein steiler Hügel, wie mir bei Kilometer 30 scheint. Ich beiße die Zähne zusammen und strampel mich ab. Oben angekommen bleibe ich stehen, werfe einen Blick zurück und fühle mich gut. Weiter geht es auf dem Feldweg, immer parallel zur B 1, geradewegs auf Klein Escherde zu. Das kleine Dorf ist schnell durchquert, aber an der Hauptstraße macht der Radweg plötzlich einen scharfen Rechtsknick. Hätte ich nicht Herbert Durant bei mir, ich wäre glatt an dem Schild vorbeigefahren. Hinter Klein Escherde, so ungefähr bei Kilometer 30, wird der Hinweg von vorhin dann zum Rückweg. Wo wir vor ein paar Stunden rechts abgebogen sind, kommen wir jetzt heraus und radeln erneut durch die Feldmark. Wieder der Mais neben mir, dann der Osterberg, diesmal auf der linken Seite, durch Emmerke hindurch nach Himmelsthür.
Meine Beine werden schwer, mein Hintern tut weh. Bis ich das Fahrrad wieder abgebe, bleibe ich aber fest im Sattel. Erst in der Osterstraße steige ich das erste Mal ab, gehe ein paar Schritte und bringe den Drahtesel wieder zu Ritzel. Kurz darauf beginnt auch Freddie wieder zu singen.
Mein Fazit:
Die 39 Kilometer sind zu bewältigen – auch für Familien mit Kindern. Wem dies zu lang ist, der fährt zur Marienburg und nimmt dann ab Nordstemmen den Zug zurück. (vb)
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